Nach der Entdeckung des Laktat Anfang des 19. Jahrhunderts betrachteten Physiologen, Biochemiker, Diagnostiker und Trainer dieses Molekül lange Zeit als Hauptgrund für muskuläre Ermüdung. Als Stoffwechselendprodukt der anaerob-laktaziden Glykolyse akkumuliert das Laktat infolge einer unzureichenden Sauerstoffversorgung und führt zu einer „Übersäuerung“ des Muskels. Es wurde sogar angenommen, dass eine Laktatanhäufung Teile des Muskels zerstören und in der Folge Muskelkater auslösen würde. Diese Sichtweise hat sich jedoch in den letzten Jahren deutlich gewandelt. So existiert die so häufig angesprochene Milchsäure im menschlichen Körper kaum, da sie sich nahezu vollständig in negativ geladene Laktationen und positiv geladene Wasserstoffionen auflöst. Inwieweit Laktat nun ein Fluch oder Segen für den Sportler ist, wird in der Folge prägnant zusammengefasst.
Segen: Entgegen weitverbreiteter Meinungen beträgt die anaerob-laktazide Energiebereitstellung knapp oberhalb der Dauerleistungsgrenze (maxLaSS=maximales Laktat-Steady-State) nur verschwindend geringe 2%. Dies bedeutet, dass selbst bei der höchstmöglichen Belastung, die keine dauerhafte Laktatakkumulation (Laktatbildung und -elimination sind gleich) verursacht, die aerobe Energiebereitstellung dominiert. Trotz seines anaeroben Ursprungs spielt Laktat für den aeroben Stoffwechsel eine wichtige Rolle als Energieträger und Energielieferant. Es ist u.a. verantwortlich für die Auffüllung der Glykogenspeicher und nimmt damit eine entscheidende Position im Regenerationsprozess ein. Es stellt somit das Bindeglied zwischen glykolytischer und oxidativer (aerober) Energiebereitstellung dar. Laktat kann entweder am Bildungsort, d.h. in der Muskelzelle selbst, in benachbarten Zellen oder in anderen Geweben des menschlichen Körpers verstoffwechselt werden. So ist es bei körperlicher Belastung die Hauptenergiequelle des Herzens (60%). Auch das Gehirn nutzt Laktat zur Deckung seines Energiebedarfs. Bei niedrig-intensiven Belastungen wird davon ausgegangen, dass die Nutzung von Laktat als wichtige Energiequelle des aeroben Stoffwechsels die Verstoffwechselung von Glukose übersteigen kann. Darüber hinaus ist Laktat ein bedeutendes Signalmolekül für Anpassungsprozesse. Seine Akkumulation deutet auf einen gesteigerten Energiebedarf des Körpers hin, der in der Folge ähnlichen Belastungen besser gewappnet sein will. Es wird somit eine Signalkaskade ausgelöst, die verschiedene Adaptationen in Gang setzt (z.B. Gefäßneubildungen). Daher sollte im Training je nach Zielsetzung die Wirkung des Laktats bewusst ausgenutzt werden. So könnte man in der allgemeinen Vorbereitungsphase z.B. passive Erholungspausen zwischen Tempoläufen in Erwägung ziehen, damit das Laktat nicht so schnell verstoffwechselt wird. Dies könnte einen größeren metabolischen Stimulus (Reiz) und eine damit verbundene größere Anpassung, z.B. eine verbesserte Transportkapazität und Eliminationsrate der Laktat- und Wasserstoffionen, hervorrufen.
Fluch: Der einzige Fluch der am Laktat haftet, ist sein jahrelanger schlechter Ruf, der sich v.a. in einigen (Trainer-)Köpfen beständig hält. Tatsächlich ist die Akkumulation der H+-Ionen für den Abfall des pH-Werts verantwortlich, der aber auch nicht zwangsläufig eine muskuläre Ermüdung hervorruft. Letztendlich ist sie ein multifaktorieller Prozess, an dem viele verschiedene Faktoren beteiligt sind (z.B. ATP, Calcium, Kalium, Phosphat). Die Interaktion dieser Einflüsse untereinander erschwert das Verständnis zusätzlich. Daher ist es immer einfacher die Schuld einem „Sündenbock“ – in dem Fall war es das Laktat – in die Schuhe zu schieben. Damit ist die Berechtigung und Plausibilität der Laktatleistungsdiagnostik zwangsläufig stark in Frage gestellt. Mangels praktikabler Alternativen und der Beteiligung von Laktat an verschiedenen Energiebereitstellungswegen kann sie jedoch weiterhin nützliche Informationen über die Ausdauerleistungsfähigkeit von Sportlern liefern.
Fazit: Laktat wurde lange genug zu Unrecht als Hauptursache für muskuläre Ermüdung mit dem „Mann mit dem Hammer“ in Verbindung gebracht. Dementsprechend ist es an der Zeit, dass ein Umdenken stattfindet und die Mythen früherer Athleten- und Trainergenerationen durch die neuesten sportwissenschaftlichen Erkenntnisse ersetzt werden, auch wenn diese Wahrheit komplexer ist als manchem lieb sein mag. Tobias Alt |